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von Arne Krasting - 28. Januar 2020

Am Set von Babylon Berlin – Kapitel 2: Der erste Tag – Bankangestellter oder Tonassistent?

Das Abenteuer beginnt…und zwar komplett im Dunkeln. Studiogelände Babelsberg, 5. März 2019, 05:45. Das ist wirklich sehr früh. Eine Herausforderung, wenn man aus dem Prenzlauer Berg kommt und noch eine zusätzliche Stunde zum Einsetzen der neuen Kontaktlinsen einplanen muss. Ich hoffe, die Fingerfertigkeit wird sich in den nächsten Tagen verbessern. Immer mehr Gestalten tauchen aus der Dunkelheit auf. Die meisten allein, aber eine Gruppe ist dabei, man scheint sich zu kennen. Und da diese sehr zielsicher auf ein Gebäude zusteuert, hefte ich mich an sie. Ganz schön jung sehen die alle aus! Bin ich hier richtig? Ja, es sind die Tänzer für Babylon Berlin. Very young and very international.

Ziel ist das Tonkreuz in der Friedrich-Holländer-Straße. Hier ist unser Quartier für die nächsten Tage, die Holding für die „Extras“. So werden auch die Komparsen genannt. Es gibt drei verschiedene Gruppen: die Tänzer, die Musiker und die Filmcrew. Zur letzterer gehöre ich als Ton-Assistent. Der Raum füllt sich nach und nach. Nicht alle haben anscheinend die Anweisung 06:00 pünktlich wörtlich genommen. Ich zähle etwa 75 Komparsen. Beeindruckende Zahl ist das, aber wir sind ja auch bei Babylon Berlin. Es gibt Kaffee, nicht gut, aber warm. Und jetzt beginnt zum ersten Mal das Prozedere, das sich die nächsten Tage für uns wiederholen wird.

Erste Station ist die Maske. Kurzer Abgleich mit dem Foto. Die perfekte Rasur wird gewürdigt, der Scheitel gelegt, ein bißchen die Augenringe verstärkt – was mir im Angesichts der kurzen Nacht als überflüssig erscheint. Patina ist das Zauberwort. „Ach, vielleicht noch ein bißchen Patina für die Hände? Na klar, ihr seid doch hart am Arbeiten“. Schweiß und Augenringe: das war Volker Bruchs Antwort auf die Frage, wie die Maske bei Babylon Berlin aussieht. Der Schweiß kommt später wahrscheinlich automatisch…

Haare glatt, Augenringe ran, ein bißchen Dreck und fertig ist das Babylon-Gesicht….

Nun werden die ersten Komparsen zur Kostümabteilung gebeten, in einem anderen Gebäude. Es geht einen Gang entlang: Blick aus den Augenwinkeln: auf der ersten Tür steht „Gereon Rath“, dann „Charlotte Ritter“ und „Armenier“. Es sind die Zimmer der Hauptdarsteller. Alle bekannt, bis auf „Tristan Roth“, ein Neuzugang. Die Türen sind offen, noch kein Licht, noch keine Charlotte. Erst morgen geht es für sie los, erfahren wir.

Unsere Kostüme mit der passenden Setcard hängen bereit. Mantel und Hut darf ich gleich weglassen. Der Arbeitsplatz für heute wird drinnen sein – wir wissen ja noch nicht wirklich, was uns erwartet. Jetzt kommt der große Moment: Das Line Up der Crew! Brav stehen wir in einer Reihe und warten auf Kostümbildner Pierre Yves Gayraud. Gayraud ist eine ganz große Nummer in seinem Fach. Mit dem Film Indochine (1992) ist er bekannt geworden. Viele Filme habe ich gesehen und geliebt, wie z.B. die Bourne-Identity, ohne zu wissen, dass Gayraud für die Kostüme zuständig war. Auffällig, dass viele historische Stoffe dabei sind, das ist also sein besonderes Steckenpferd. Und dreimal hat er schon mit Tom Tykwer gearbeitet, für die Filme Das Parfüm, Cloud Atlas und Ein Hologramm für den König. Jetzt steht mit Babylon Berlin eines seiner aufwändigsten Projekte bevor. Und anders als bei vorherigen Filmen ist seine Arbeit hier nicht vor oder am Anfang der Dreharbeiten abgeschlossen. Gayraud bleibt über die volle Länge der Dreharbeiten.

Das Moodboard. Historische SW-Aufnahmen, teilweise von Dreharbeiten. Könnte da eine Stunde vorstehen….

Gegenüber entdecke ich eine Fotowand mit Schwarz-Weiß-Fotos. Fotos, die Menschen bei ihrer Arbeit zeigen, bei Dreharbeiten und anderen Tätigkeiten. Das war also die Inspiration für unsere Kostüme! Wie genau die einzelnen Abteilungen arbeiten, wie viel Wert auf Details gelegt wird, wusste ich ja bereits, aber es ist faszinierend, das noch einmal bestätigt zu sehen. „Moodboards“ nennt man das. Gayraud hat in seiner Vorbereitung mehr als 3.000 Bilder gesammelt und kategorisiert. Auch ein Ton-Assistent ist auf den Bildern zu sehen. Meine Rolle, mein Vorbild.

Historische Dreharbeiten. Der Tonmann ist noch am Rumfummeln. Aus solchen Fotos hat Gayraud seine Inspiration für unseren Look. ©Stiftung Deutsche Kinemathek

Jetzt kommt er: Gayraud wirft kritische Blicke auf Kleidung und Look. Ein bisschen komme ich vor wie im Berghain: „Für Dich heute leider nicht“. Zu seinem Kollegen sagt er auf Französisch: die sehen ja aus wie Bankangestellte…oh weh, wir sind zu elegant. Ist ja auch kein Ausflug ins Moka Efti, wir arbeiten ja beim Film. Das bedeutet für mich: statt Jackett eine sehr eng anliegende und kurze Weste sowie ein Kittel. Hhhm, fühlt sich wie ein sozialer Abstieg an.

Falls noch was fehlt: im Kostümfundus gibt es auch noch Ersatz ©X-Filme

Und dann geht es los: noch ein paar Hinweise und Ermahnungen („keine Handys“, na klar), dann bewegt sich unser Tross im Gänsemarsch Richtung Marlene-Dietrich Halle. Hier ist Hochbetrieb. Kabel werden verlegt, ein riesiger Kamerakran wird noch aufgebaut, einige große Requisiten verschoben, Action schon seit Stunden.

Ein paar bekannte Gesichter laufen einem über den Weg. Und als dann Tom Tykwer auftaucht, ist klar: jetzt wird es ernst! Die nächsten Stunden sind ein einziges Schauen, Staunen, Gänsehautgefühl… Die drei Regisseure arbeiten ja getrennt voneinander. So gibt es auch die HH-Unit und die AvB-Unit, für Henk Handloegten und Achim von Borries. Alles drei großartige Regisseure, die, so sagen es die Schauspieler immer wieder, zwar alle komplett anders arbeiten, aber das Ergebnis ist aus einem Guss. Leider kann ich nur einen der Drei beim Arbeiten kennenlernen. Aber mit Henk Handloegten hatte ich schon mal ein inspirierendes Gespräch über Stummfilme, da kennt er sich besser aus als viele Filmhistoriker. Und Achim von Borries kommt ja vielleicht auch mal hier reingeschneit.

Der erste Drehtag ist einer der längsten, gegen 22:00 sind wir fertig. Aber die Zeit vergeht wie im Flug. Ungezählte Eindrücke prasseln auf einen ein, ich fühle mich ein bisschen wie ein Kind zur Bescherung. Noch ein Geschenk zum Auspacken…Was kann da die nächsten Tage noch kommen?

Geschrieben von Arne Krasting
Arne ist Historiker, der Gründer von Zeitreisen, Autor von dem Buch „Fassadengeflüster“, sowie Tourguide und Podcaster.

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