Ein Schnäppchen. Das Rathaus Wedding (Best of 75/Nr. 63)
Ein Schnäppchen: 2,2 Millionen Reichsmark soll das Rathaus von Wedding kosten. Aber wir sind ja in Berlin, da kommt sicherlich noch was drauf, oder? Im Jahr 1930 ist es fertig und es bleiben sogar noch 200.000 Reichsmark übrig. Das Geld wird zurücklegt, für den Reparaturfonds. Zugegeben: es gibt prächtigere Rathäuser in Berlin, Rathäuser mit reich-verzierten Fassaden, mit repräsentativen Eingängen und Treppenhäusern, mit riesigen Gemälden und anderen Kunstwerken. Und mit Türmen – eigentlich hat jedes vor dem Zweiten Weltkrieg in Berlin gebaute Rathaus in Berlin einen Turm. Nur der Wedding ist leer ausgegangen, kein Turm ragt über die Müllerstraße, den „Ku’damm des Norden“, wie die Hauptschlagader des roten Weddings damals genannt wird.
Aber: es ist ja auch nur ein Bezirksrathaus, anders als die für eigene Städte errichteten Pracht-Rathäuser von Schöneberg, Spandau, Charlottenburg, Wilmersdorf, Neukölln, Lichtenberg und Köpenick. 1920 ist für sie vorbei mit der städtischen Selbstständigkeit und Selbstherrlichkeit. Groß-Berlin entsteht und damit eine neue Aufteilung in Bezirke. Und so kommt der Wedding auf die verwaltungspolitische Agenda und benötigt dringend einen Rathausbau.
Am 19. November wird der Grundstein gelegt. Ein Foto zeigt einen Mann mit Schnauzer hinter dem Rednerpult. Es ist Bürgermeister Carl Leid. Fast die ganze Zeitspanne der Weimarer Republik, von 1921-1933, hat der Sozialdemokrat das Sagen im Wedding. Leid hat „seinen“ Weddingern mit Grün- und Erholungsflächen wie den Volkspark Rehberge oder den Wassersportplatz Plötzensee das nicht immer einfache Leben zwischen Inflation, Blutmai und Weltwirtschaftskrise etwas erträglicher gestaltet. Und so soll er auch in einer Ausstellung des Bezirksmuseums zum 100jährigen Jubiläum von Groß-Berlin gefeiert werden. Aber: „Wir suchen Fotos und Zeitzeugen beziehungsweise Erinnerungsberichte zur Biografie von Carl Leid und seinen Aktivitäten als Bürgermeister von Wedding“, so der Kurator vom Mitte Museum Thomas Irmer. Wer kenn helfen?
1930 kann der Bürgermeister dann einziehen in das neue Rathaus. Ein fünfstöckiger Backsteinbau mit gleichmäßig angeordneten Rechteckfenstern, gestaltet im Stil der Neuen Sachlichkeit – mit Betonung auf sachlich, sehr sachlich. Architekt ist ein gewisser Friedrich Hellwig, vom dem sonst in Berlin kaum weitere Spuren mehr zu finden sind. Der fast komplette Verzicht auf dekorative Elemente ist wirklich einmalig unter den Berliner Rathäusern. Ein steinernes Wappen an der Gebäudeecke, natürlich mit Berliner Bären, und der Schriftzug Rathaus Wedding am Eingang, das war’s.
Aber dann überrascht das Innere des Gebäudes mit viel Farbe: Keramikfliesen, in gelb, grün, und blau. Die Eingangshalle verfügt über eine beeindruckende Kassettendecke und ein Bodenmosaik mit dem Berliner Bären und den Jahreszahlen von Baubeginn und Fertigstellung. Ein Hingucker ist auch die Kandelaber-Konstruktion an den seitlichen Treppenaufgänge: leuchtende, gestaffelten Türmen und eine aufgesetzte Kugellampe. Wie schön wäre es, wenn der Paternoster noch existieren würde!
Als “Prototyp eines bezirklichen Rathauses“ in der neuen Einheitsgemeinde Groß-Berlin bezeichnet Sigrid Schulze vom Mitte Museum das Rathaus Wedding. Ab September 2020 wird dieses Gebäude dann hoffentlich auch in der Sonderausstellung des Museums gewürdigt.
Links:Mitte Museum
Ort: Müllerstraße 146 13353 Berlin, U-Bahnhof und S-Bahnhof Wedding