Ein Reich für Kinder – Das Haus Poelzig (Best of 75/Nr.52)
Da liegt Musike drin…so soll Architekt Hans Poelzig seine Studenten gelobt haben, wenn ihm ein Entwurf besonders gefällt. Hoffentlich hat Poelzig nicht mit Lob gespart bei dem Entwurf zum Wohnhaus in der Tannenbergallee. Verantwortlich ist nämlich seine Frau, Marlene Moeschken-Poelzig.
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Und die beiden ziehen mit ihren Kindern selbst in das Gebäude in Westend ein. Das Einfamilienhaus ist bei Journalisten heißbegehrt, über kaum ein Wohnhaus wird damals mehr berichtet. Und das liegt auch an der Architektin. „Frau Architekt“, das ist eine absolute Rarität in der Weimarer Republik. Das Haus in der Tannenbergallee, 1930 bezogen, gilt als eines der frühesten Architektinnenhäuser Deutschlands in einem fast frauenfreien Berufsfeld.
Marlene Moeschken lernt Hans Poelzig 1918 kennen. Poelzig hat zuvor in Breslau die Königliche Akademie für Bau- und Kunstgewerbe zu einer der modernsten Kunst- und Architekturschulen in Deutschland gemacht, dem „Bauhaus vor dem Bauhaus“. Nun steht in Berlin ein wichtiges Projekt an: die Verwandlung der alten Berliner Markthalle am Schiffbauerdamm in ein Schauspielhaus. Poelzig holt die junge, begabte Bildhauerin in sein Atelier und lässt sie die spektakulären Palmsäulen konstruieren (hier beeindruckende Bilder). Ein riesiger Erfolg: das Große Schauspielhaus, die „Tropfsteinhöhle“ der Berliner, macht europaweit als einzigartiges Baukunstwerk Schlagzeilen. In Folge ist Marlene immer wieder maßgeblich an Gebäuden von Poelzig beteiligt, so auch am Haus des Rundfunks in der Masurenallee.
Das Haus in der Tannenbergalle liegt nun in ihrer Verantwortung. Ob Ehemann Hans ihr bei der Planung über die Schultern schaute, ist nicht überliefert. Es gibt aber ein schönes Foto, daß die beiden mit Freunden und vor allem einigen Pullen Bier beim Richtfest zeigt. Die geheimen Wünsche der Kinder jedenfalls werden erfüllt: Das „Reich der Kinder“ ist absolut bemerkenswert. Gleichberechtigt zum Arbeitsbereich und nicht verbannt in das obere Stockwerk, führt der abgeschlossene Spielbereich für die drei Kinder vom Erdgeschoss direkt in den davor gelagerten Außenbereich, sogar mit einer Plansche. Raum zum Spielen, drinnen und in der Natur. Das gab in dieser Form bisher bei keinem Einfamilienhaus in Berlin. Überhaupt: Haus und Garten stehen in „stärkster Wechselbeziehung“ zueinander, die Grenzen zwischen Haus und Garten heben sich auf, wie begeistert ein Architekturmagazin nach Besichtigung des Hauses berichtet.
Nach dem Tod von Hans Poelzig und dem Auszug von Frau und Kindern bleibt das Haus ein Ort mit Ausrufezeichen. 1937 zieht Regisseur Veit Harlan ein und lässt sich einen Kinosaal einbauen. Ob er hier auch seinen Propagandafilm „Jud Süß“ privat uraufführte? Den Krieg übersteht das Haus unbeschadet. Die Schäden kommen in der Nachkriegszeit: Umbauten machen aus den modernen Flachdächern reaktionäres Walmdächer, das großzügige Atelier des Architekten wird in kleine Räume aufgeteilt, Fenster vergrößert.
Aber der Grundriss, die Ausstattung und der Garten bleiben größtenteils erhalten. Und vor allem bleibt es das einzige Haus einer Architektin in der Weimarer Republik, der Wohnort eines besonderen Künstlerpaars sowie ein Ort, der für die Schattenseiten der Deutschen Geschichte steht.
Daher ist es traurig, nein, ein Skandal, dass der Denkmalschutz dieses Gebäude als nicht schützenswert erachtet. Der Abriss steht, Stand Mai 2020, kurz bevor, das Dach ist mit schützenden Planen bedeckt, Schutt liegt im Vorgarten. Vielleicht kann der Abriss noch gestoppt werden: eine Petition hat immer mehr Unterstützer gefunden. Hier der Link, zum Unterzeichnen, zum Teilen!