Ein Hochhaus für den Malzkaffee – Kathreiner Hochhaus (Best of 75/Nr. 65)
Ein Hochhaus in Berlin! Mehr noch: „Nun haben wir also richtig so etwas wie einen Wolkenkratzer in Berlin. Das Kathreiner-Haus steht fertig, aus der Schale seiner Gerüste gepellt (…). Man kann es nicht lassen und rechnet die Stockwerke nach: Es ist ein rundes Dutzend, das Erdgeschoss mitgezählt“. So schreibt die Vossische Zeitung im Juli 1930 voll Begeisterung. Ein Wolkenkratzer, 46m hoch! Sprung über den Ozean, Manhattan: schon seit Oktober 1929 ragt das Chrysler-Building über den Stadtteil, 319m hoch. Und das noch höhere Empire State Building ist gerade im Bau. Aber in Berlin war man stolz auf die ersten Gebäude, die die Stadt in die Vertikale drehten. Ob der Borsig-Turm in Tegel, das Ullstein-Haus in Tempelhof, das Wohnhochhaus am Innsbrucker Platz: es ging, bescheiden, nach oben. Wobei man in Berlin, der flächenmäßig zweitgrößten Stadt der Welt, auch längst nicht die Platznöte und damit die Notwendigkeit von Hochhausbauten hatte wie New York.
Nun war also mit dem Kathreiner-Haus auch im Zentrum ein Hochhaus fertig gestellt. Die Firma Kathreiner kennt heute kaum jemand mehr. Dabei war es früher das größte Kolonialwarengeschäft Deutschlands! Und Kathreiner hatte einer der ersten Markenartikel Deutschlands im Sortiment: Kneipp-Malzkaffee, tatsächlich mit dem Segen des damals bekanntesten Deutschen nach Bismarck: Sebastian Kneipp, dem Erfinder der Wasserkuren.
Ende der 20er Jahre war nun die Zeit gekommen für einen Firmensitz in Berlin. Und mit Bruno Paul findet man einen Architekten, der als Karikaturist, Möbeldesigner, Innenausstatter und eben Architekt äußerst vielseitig unterwegs ist. Er ist 1907 Mitbegründer des Werkbundes, wird auch als Wegbereiter des Bauhauses bezeichnet, ist verantwortlich für die Innengestaltung der Berliner Straßenbahn, baut Luxusmöbel für Schiffe, viele Villen und immer mehr auch Geschäftsgebäude. Schon in der Kaiserzeit entsteht zum Beispiel in Berlin der noch erhaltene Zollernhof, heute ZDF-Hauptstadtrepräsentanz. Aber im Laufe der Weimarer Republik werden seine Gebäude nüchterner, sachlicher: Bruno Paul gilt auch als Wegbereiter der modernen Zweckarchitektur.
So ist auch das Kathreiner Haus im Stil der Neuen Sachlichkeit entworfen. Das Gebäude besteht aus drei Flügeln: die beiden parallel zur Straße liegenden Flügel orientieren sich tatsächlich noch an der Traufhöhe der umliegenden Gebäude und haben nur sechs Stockwerke. Quer zur Straße ist dann das eigentliche „Hochhaus“. Ansonsten: kein Schmuck, kein Dekor – aber mit Thüringer Travertin eine durchaus hochwertige Fassade.
Und so schreibt auch die „Vossische“ begeistert: „Aber nicht dies Quantiative, die Höhe des Bauwerks, ist das Wichtigste daran, sondern die imposante Klarheit, mit der die ungewöhnliche Aufgabe gelöst wurde, die kunstreiche Einheit und Harmonie des geformten Riesenbaukörpers“.
Beeindruckend aber vor allem die Schnelligkeit, in der die „ungewöhnliche Aufgabe“ gelöst wurde: in fünf Monaten war man fertig! Fünf Jahre dauern momentan allein die Sanierungsarbeiten, damit in das leere Gebäude das Verwaltungsgericht einziehen kann.