Befreit wohnen in der Gartenstadt - Die Ceciliengärten (Best of 75/Nr. 59)
TEXT: Marcel Piethe
Luft, Licht und Bewegung: Das sind die Schlagworte von Mode, Tanz, Theater, Musik und bildender Kunst der 1920er Jahre. Alles strebt nach Öffnung – auch in der Architektur. Dies schlägt sich auch im Wohnungsbau nieder, der während der Weimarer Republik eine wahre Blüte erlebt. Der „Soziale Wohnungsbau“ wird erfunden – freilich noch ohne diesen Namen zu tragen. Besonders beliebt sind in sich geschlossene Projekte und „Gartenstädte“. Die berühmte Hufeisensiedlung entsteht und mit ihr viele andere weniger bekannte Wohnanlagen.
Eine von ihnen liegt zwischen Schöneberg und Friedenau nur wenige Minuten vom Innsbrucker Platz entfernt, umgeben von Stadtautobahn und Bahnanlagen – und doch abgeschieden vom Lärm und Trubel der Großstadt: die Ceciliengärten.
Die nach Kronprinzessin Cecilie von Preußen benannte Wohnanlage befindet sich auf dem einstigen Willmann'schen Parkgelände. Das gehörte einst einer alt eingesessenen Schöneberger Großbauernfamilie; danach plante die „Boden-Aktiengesellschaft Berlin-Nord“ eine Bebauung mit „breiteren Straßen und eingestreuten Grünflecken“. Der Architekt Paul Wolf, seinerzeit Stadtbauinspektor von Schöneberg, hatte 1912 einen ersten Bebauungsplan für das auch sogenannte „Schöneberger Südgelände“ genannte Areal erstellt. Ihm schwebte eine idyllische Gartenstadt vor, nach außen weitgehend abgeschlossen, mit „durchsonnten Wohnungen“ und mit „Spielplätzen für die liebe Jugend“. Doch nach dem ersten Weltkrieg braucht man schnell viele Wohnungen – weitläufige Gartenstädte sind nicht mehr gefragt.
Heinrich Lassen, in den 1920er Jahren Schöneberger Stadtbaurat, nimmt sich der Pläne an und passt sie den veränderten Bedürfnissen an. Zwischen 1922 und 1927 entstehen dann im Auftrag der neuen Grundstücksbesitzer, der „Gemeinnützigen Heimstättengesellschaft der Berliner Straßenbahn“ und der „Wohnstättengesellschaft mbH“, für deren Mitarbeiter „Mietskasernen in einer zeitgemäßen Ausführung“.
Die Ceciliengärten stehen beispielhaft für das „befreite Wohnen“: helle und familiengerecht geschnittene Wohnungen mit Balkon oder Loggia, mit Gemeinschaftseinrichtungen wie Wasch- und Rollhäuschen, umgeben von Gartenanlagen und Spielplätzen. Doch so modern das städtebauliche Konzept, so konservativ erscheint die Ästhetik. Heinrich Lassen ist offenbar kein Freund der „neuen Sachlichkeit“: Weitgehend symmetrisch, versehen mit verspielten Details und figürlichen Ornamenten aus Verkehr, Alltag und Tierwelt, stehen die Cecilienhöfe eher in der Tradition des Art Déco und des Jugendstils.
Die gärtnerische Gestaltung der Wohnanlage entwirft der Berliner Stadtgartendirektor Albert Brodersen. Eine Allee, flankiert von Japanischen Kirschbäumen, führt vom Eingang der Ceciliengärten – einem weithin sichtbaren Turm mit Torbogen – zum zentralen Platz. In der von Rosenhecken umsäumten Parkanlage plätschert in einem ovalen Wasserbecken eine Fontäne. Ein Brunnen, bewacht von einem Bronze-Fuchs, spendet Erfrischung. Auf der Rasenfläche in der Mitte des Platzes stehen sich zwei überlebensgroße Frauenskulpturen von Georg Kolbe gegenüber: „Der Morgen“ und „Der Abend“. Und auch wenn die konservativen Herren der Landeskunstkommission gegen die Damen Sturm laufen: Die beiden „Nackten“ dürfen bleiben. Vorerst.
Denn Zweite Weltkrieg findet auch die versteckt gelegenen Cecilienhöfe. Viele Gebäude werden teilweise schwer beschädigt und in der Nachkriegszeit schmucklos wieder aufgebaut. Anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins wird 1986 die gesamte Anlage denkmalgerecht restauriert. Auch der zentrale Platz entsteht neu nach den ursprünglichen Plänen. Und die beiden Bronzedamen kehren zurück, nachdem sie nach Kriegsende mehrmals innerhalb Berlins umgezogen waren.
Berühmtester Bewohner der Cecilienhöfe ist der Maler Hans Baluschek. Von 1929 bis 1933 hat er sein Atelier ganz oben im Torturm. Von dort aus kann er auf seine Lieblingsobjekte blicken: die Eisenbahn und andere Industrieanlagen. Baluschek ist aber auch bekannt für sozialkritische Straßenszenen aus Berlin, zeigt ungeschönt Armut und Elend, Schmutz und Verwahrlosung in der Großstadt. Eine Gedenktafel erinnert seit 1981 an den Künstler. Und anlässlich seines 150. Geburtstag zeigt das Bröhan-Museum im Schloss Charlottenburg 2020 eine umfassende Werkschau.