Die ältestes Filmfabrik Deutschlands – Geyer Werke (Best of 75/Nr. 58)
Gereon Rath, der Kommissar aus der Serie „Babylon Berlin“, hat einen Auftrag. Er sucht das Original zu einem Filmpositiv, auf dem ein Herr in recht delikater Pose mit leicht bekleideten Damen zu sehen ist. Angeblich wird der Oberbürgermeister von Köln, und das ist kein geringerer als Konrad Adenauer, erpresst. Gereons Kollege, Reinhold Gräf, hat herausgefunden, dass das Material aus Zagreb, Jugoslawien kommt. Rodacor, Billigmaterial. Das einzige Kopierwerk, das dieses Material gelegentlich nutzt, sei Geyer. Und nun steht Gereon vor einem Gebäude in Neukölln in der Harzer Straße. Und wir auch.
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Geyer-Filmwerke, so steht es dutzendfach geschrieben auf der Klinkerfassade. Wie ein Filmstreifen ist der Firmenname horizontal angeordnet. Es ist auch das einzige dekorative Element, nicht unbedingt Understatement. Das hat Geyer auch gar nicht nötig: über viele Jahrzehnte war der Name wie ein Donnerhall in der Filmbranche, ein Qualitätsversprechen. 1911 wird die „älteste Filmfabrik“ von Karl August Geyer als „Kino-Kopier-Gesellschaft mbH“ gegründet.
Karl August Geyer ist ein Pionier im Filmgeschäft. Sein Unternehmen spezialisiert sich als eines der ersten auf die Entwicklung und Vervielfältigung von Kinofilmen. Das war in den Jahren zuvor noch in den Filmstudios gemacht worden. Aber nicht gut. Die sehr anspruchsvolle und technische Arbeit erfordert absolute Präzision. Und die Filmschaffenden können das nicht, ihr künstlerisches und bohemehaftes Niveau sei dem technischen Prozess in höchstem Grade abträglich, so das vernichtende Urteil von Geyer. Sein Unternehmen kann das, es ist schließlich das älteste Filmkopierwerk Europas nach den legendären Éclair-Studios – und schnell einer der größten weltweit!
Hier kommen die Filme an, wenn die Dreharbeiten beendet ist. Und dann geht die Arbeit los. Entwickeln, schneiden, Zwischentitel vor allem bei den Stummfilmen, kopieren: die Schritte auf dem Weg zum fertigen Kinofilm. Und das lange, bevor das Wort „Postproduction“ erfunden wurde. Mit den Welterfolgen der deutschen Kinos, ausgelöst durch Regisseure wie Lang, Murnau und Pabst nehmen auch die Aufträge für Geyer immer mehr zu.
Daher muss die Filmfabrik vergrößert werden. 1928 entsteht der Bau in der Harzer Straße in Neukölln mit vier Stockwerken und einer turmartigen Erhöhung über dem Eingangsbereich. Und die schon erwähnte Endlosschleife des Firmennamens. Otto Rudolf Salvisberg heißt der Architekt. Ein Schweizer, der in Berlin viele Spuren hinterlassen hat. Zwei der UNESCO-Weltkulturerbe-Siedlungen hat er mitgebaut: die Weiße Stadt in Reinickendorf und Onkel Toms Hütte in Zehlendorf. Innen wirkte das Gebäude tatsächlicher weniger nach bohemehafter Filmkunst, der kreative Moment ist draußen geblieben. Es war eine Mischung aus Labor und Fabrik: Tanks mit chemischen Substanzen, die mit einem Rohrleitungssystem an die richtige Stelle gebracht wurden, Performiermaschinen, Druckmaschinen, Kopiermaschinen – auf 10.000qm Fläche.
Wichtig bei dem Neubau waren die Kundenräume, wo Regisseure in Ruhe arbeiten und von Probeaufnahmen bis zum fertigen Film sichten konnten, so lange sie wollten.
Eine echte Herausforderung für Geyer wie für alle Filmschaffende ist schließlich die Einführung des Tonfilms, mitten in der Weltwirtschaftskrise. Aber Geyer schafft es, mit zu halten. Die Geschichte der „Filmfabrik“ geht auch nach 1933 weiter. Weniger rühmlich die enge Zusammenarbeit mit Leni Riefenstahl, als Folge war die Entnazifizierung auch nicht ganz so einfach. Dann ab den 50er Jahren brummt der Laden wieder, weitere Filmklassiker folgen. Werner Herzog, Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders geben sich die Klinke in die Hand. Und auch Tom Tykwer, einer der drei Regisseure von Babylon Berlin, ist hier für die Nachbearbeitung seines Films Lola Rennt.
Und jetzt ist Gereon Rath gerade an dem Pförtner vorbei gelaufen und platzt in einen der Sichtungsräume. Eine attraktive blonde Dame ist auf der Leinwand zu sehen, räkelt sich auf einem Piano. Wer das wohl ist? „Marlene Dietrich, Sie Chrétin“ kommt die ungehaltene und eindeutig österreichisch-gefärbte Stimme des Betrachters. Dem Regisseur von „Der blaue Engel“, Joseph von Sternberg wird hier die Ehre erwiesen. Und die Probeaufnahmen, die in „Babylon Berlin“ zu sehen sind, gibt es tatsächlich (hier der Link zum Youtube-Video). Diese Szenen ist nicht nur eine wunderbare Hommage an Marlene und Joseph von Sternberg, sondern eben auch an die einst so wichtige Firma Geyer. Hier ist der Drehort tatsächlich auch der Originalschauplatz. „Ein nostalgischer Spaß“ nennt dies Szenenbildner Uli Harnisch.
2013 endet der Spaß hier allerdings. Die Zeiten des analogen Filmschnitts sind längst Vergangenheit. Keine Filmrollen mehr – und das, was noch von Geyer übrig war, wird abgewickelt. Mit der Insolvenz endet 102 Jahre nach der Firmengründung und 75 Jahre nach Errichtung der Geyer-Werke ein wichtiges Stück Berliner Filmgeschichte.
Standort: Harzer Str. 39, 12059 Berlin (Bus 104, Wildenbruchstraße/Harzer Straße)