Das Mystikum der Parfümören. Parfümeriefabrik Scherk (Best of 75/Nr. 61)
Parfum und Puder, Make-up, Lidschatten und Lippenstift: Deutsche Frauen, die dies begehrten, waren im 19. Jahrhundert in der Regel auf Importwaren angewiesen. Erst um die Jahrhundertwende änderte sich das. Und ein Name ist untrennbar mit dem Aufschwung der Beauty-Branche in Deutschland verknüpft: Scherk.
Ludwig Scherk, geboren 1880, beginnt seine Laufbahn als Angestellter der erfolgreichen Frankfurter Parfümerie Dr. Albersheim. Er gewinnt das Herz von Alice, der Nichte des Unternehmers, und geht mit ihr nach Berlin. Dort eröffnen sie 1906 ein eigenes Geschäft für Drogerieartikel in der Joachimsthaler Straße. Anfangs verkaufen sie Albersheim-Produkte – Kosmetik, Seifen, Parfüms. Aber bald schon bauen sie ihre eigene Kosmetikfirma auf.
„Nie Banken, nie Börsen, nie Eitelkeiten“: Das ist das Motto des Ludwig Scherk. Er setzt auf Qualität denn auf Massenware. Dabei ist das Drumherum genauso wichtig wie der Inhalt. Und so stehen die Artikel der Firma Scherk bald synonym für exquisites Design. Parfüm und Rasierwasser kommen daher in auserlesenen Art-Deco-Glasgefäßen, Puderdosen in edlem Metall tragen ausgesuchtes Dekor und Namen wie „Mystikum“, „Arabian Nights“ oder „Purple Rose“ verströmen einen Hauch von Orient … Das kommt an bei den Damen (und Herren) von Welt: In den 1920er Jahren umfasst das internationale Netz schon über 50 Scherk-Filialen.
1913 gibt es Nachwuchs in der Familie Scherk. „Du bist bei den Parfümören angekommen“, heißen die Eltern ihr erstes Kind Walter willkommen. 1918 folgt mit Fritz ein weiterer Sohn, der später in der Duftstadt Grasse Parfümerie lernte.
Die Familie braucht nun mehr Platz. Ein Haus wird gebaut im beschaulichen Lankwitz. Und auch die Firma erhält ein neues Domizil: in Südende, einer damals von eiszeitlichen kleinen Teichen geprägten idyllischen Villenkolonie an der Anhalter Bahn. Dort in der Kelchstraße 31 im heutigen Stadtbezirk Steglitz entsteht 1926/27 die neue Fabrik. Und wie bei Scherks üblich, muss auch hier die „Verpackung“ stimmen: Für den Entwurf des Gebäudes gewinnt man Fritz Höger, einen seinerzeit bekannten Vertreter des architektonischen Expressionismus und Architekten des berühmten Hamburger Chile-Hauses. Geometrische Muster aus vor- und zurückspringendem Mauerwerk verzieren den dunkelroten Klinkerbau, Zacken schließen das Gebäude nach oben hin ab, der Eingangsbereich wirkt wie aus einer Stummfilmkulisse. Ein Kleinod des Backstein-Expressionismus – auch wenn nur ein kleiner Teil der ursprünglich geplanten Anlage gebaut wurde.
In den besten Zeiten beschäftigt die Firma Scherk 400 Mitarbeiter. Doch bald sind die guten Zeiten vorbei. Denn Scherk ist Jude. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten gefährdet die „Arisierung“ seine Firma und seine Familie. Alice Scherk hält dem Druck nicht stand, nimmt sich das Leben. 1938 wird Scherk gezwungen, das Unternehmen an die Schering AG zu verkaufen, einen seiner größten Konkurrenten. Die Familie kann wenig später emigrieren. Ludwig Scherk geht nach London, stirbt dort aber ein Jahr nach Kriegsende. Fritz Scherk verschlägt es 1938 zur Fremdenlegion, er versucht, sich dort vor den Nazis zu retten. Nach fünf Jahren emigriert er von Kairo nach Haifa, damals noch Palästina.
„Scherk ist wieder da“, schreibt Fritz Scherk 1950 an die Händler. Er ist nach Berlin zurückgekehrt und baut die Firma wieder auf. Gesichtswasser, Gesichtsmilch und Gesichtspuder liefen wieder vom Band. Seife Seife, Rasierwasser und Eau de Cologne waren im Sortiment der Scherks zu finden. Der wirtschaftliche Erfolg stellte sich in auch in der Nachkriegszeit wieder ein, auch wenn die die Produktlinien ihre einstige Popularität nicht mehr fanden. 1969 verkauft Scherk die Firma an Alberto-Culver, ein amerikanisches Unternehmen. Damit endet die Produktion in Berlin-Südende. 1982 verschwindet auch der Name Scherk aus dem Handelsregister.
Und das Scherk-Haus? Während des Krieges dient das Gelände zeitweilig als Lager für ausländische Zwangsarbeiter. Dann wird das Gebäude bei Luftangriffen teilweise zerstört. Beim Wiederaufbau spart man am Design, verzichtet auf die Verzierungen. So lässt sich die einstige architektonische Finesse heute nur noch erahnen. 1974 verkauft Fritz Scherk das Gebäude an die Freie Universität Berlin. Seitdem beherbergt es das Institut für Pharmazie. 2006 wird eine Gedenktafel am Scherk-Haus angebracht, die an die durch das NS-Regime enteignete jüdische Unternehmerfamilie Scherk erinnert.