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von Arne Krasting - 23. März 2020

Moderne trifft auf Wilhelminismus – die Rote Apotheke (Best of 75/Nr. 72)

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Irgendwas stimmt nicht mit diesem Gebäude. Es ist rot verputzt, mit vier horizontalen gelben Bändern über den Fenstern. Sieht ein bisschen aus wie eine Mischung aus Europahaus und den Wohngebäuden am Rosa-Luxemburg Platz. Erbauung Ende der 1920er Jahre, schätzungsweise. Aber, dann: ganz oben, blitzt heller Stuck hervor. Und in die schöne, abgerundete Ecke ist ein Spalt geschlagen, der sich vom obersten Stockwerk bis zum ersten Stock durchzieht.

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…als hätte man ein kleines Stück vom Kuchen rausgeschnitten… @Zeitreisen – Arne Krasting

Eine merkwürdige Architektur-Mischung, mit einem spannenden Hintergrund. Das Gebäude stammt aus dem Jahr 1887, unten befindet sich eine Apotheke. Nicht irgendeine: es ist die älteste Apotheke Berlins (wenn man Spandau ausnahmsweise nicht zu Berlin zählt, sorry da draußen…), 1758 bekommt sie den Namen „Rothe Apotheke“. Denn schon damals stand hier ein Haus. Den Eigentümer wechselt sie häufiger. Und einer davon erricht dann Ende des 19. Jahrhunderts ein repräsentatives Eckgebäude mit viel, viel Stuck am Platz der alten Apotheke.

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(c) Stefan Wolski – dazu auch ein schöner Artikel über die Apotheke: https://berlinab50.com/2017/05/06/eine-apotheke-und-viele-geschichten/

Dann kommen die 1920er Jahre. Eine Zeit, in der es die geschmückten Gebäude des Wilhelminismus nicht immer einfach haben. Die Vertreter der architektonischen Moderne verachten Stuck und Putte. Aber da Abrisse nur selten sinnvoll und finanzierbar waren, hat man dem Wilhelminismus häufig anders eins ausgewischt. Stuck wird abgeschlagen, Turmbauten beseitigt, Umrisse begradigt. „Entdekorierung“ oder auch „Entstuckung“ nennt man dieses Phänomen, für das namhafte Architekten wie Bruno Taut oder Erich Mendelssohn stehen. Zu diesem Phänomen gibt es ein großartiges Buch des von uns sehr geschätzten Kunsthistoriker Georg Hiller von Gaertringen, zu dem die FAZ schrieb: „Es gibt Architekturbücher, nach deren Lektüre man mit völlig neuen Augen durch die Städte geht. Eine minutiöse Rekonstruktion.“

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Links neben dem Apothekengebäude der Nachbar – hier ist der Stuck noch vorhanden.

Und auch der Besitzer der Roten Apotheke, Dr. Wilhelm Wartenberg, ist ein Fan der Moderne. Und so verschwindet der Stuck. Des Kaisers neue Kleider nach dem Abgang des Kaisers… Die horizontalen Bänder werden mit Werbeschriften gefüllt, hell erleuchtet im Dunkeln. Berlin leuchtet. Aber 1933 unter anderen politischen Vorzeichen. Dr. Wartenberg muss die Apotheke bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aufgeben, sie wird arisiert.

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Foto von ca. 1930, nach der Entseuchung. Sehr schön die Werbung zu sehen – unter anderem für ein “Vegetarisches Speisehaus”, wie fortschrittlich! ©Leider konnten wir den Rechteinhaber nicht ermitteln, bitte melden

Nach der Wiedervereinigung bekommt die Enkelin von Wilhelm Wartenberg, Carla, das Gebäude rückerstattet. Der Stuck kommt aber nicht wieder dran. Nur ein kleines Stück, ganz oben, wird freigelegt, um die Geschichte und den Wandel des Gebäudes transparent zu machen. Aber ein weiteres Highlight ist das Innere: Die Einrichtung, mit den vielen wunderschönen Schränken aus amerikanischem Nussbaum und dem mit Rosen streuenden Engeln versehenden Deckengemälde aus Rokokozeiten stammt tatsächlich aus dem Jahre 1886!

BILD DETAIL

Also: ein Gebäude aus dem Wilhelminismus mit einer Fassade aus den 20er Jahren. In dieser Form einzigartig. Aber uns wird noch ein weiteres Gebäude begegnen, bei dem Kaiserzeit und Weimarer Republik eine spannende Verbindung eingegangen sind…

 

Ort: Rosenthaler Str. 46/47, 10178 Berlin (S-Bahnhof Hackescher Markt)

Baujahr: Ende des 19. Jahrhunderts/1928

Link: https://www.mediosapotheke.de/standorte/hackeschermarkt/ Ein Besuch lohnt sich – hoffentlich nicht in den nächsten Wochen…

Geschrieben von Arne Krasting
Arne ist Historiker, der Gründer von Zeitreisen, Autor von dem Buch „Fassadengeflüster“, sowie Tourguide und Podcaster.

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