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von Arne Krasting - 7. Februar 2020

Am Set von Babylon Berlin – Kapitel 4: „Wir sind ein Schweif des gestrigen Zaubers“ oder: worum geht’s hier eigentlich?

„Dämonen der Leidenschaft“, so heißt der Film, den wir drehen. Es ist das Jahr 1929 und wir befinden uns in den UFA-Filmstudios in Neu-Babelsberg. Wir, die Filmcrew mit Tonmeister, Kameramann, Maskenbildnern, Standfotograf, Regieassistent und noch einigen anderen anonymen Rädchen im Filmbetrieb. Aber wie passt das, wie passen wir in die spannende Welt von Babylon Berlin? Während der Dreharbeiten kommt es zu einem Unfall: die Hauptdarstellerin, Betty Winter, wird von einer herabfallenden Kamera erschlagen. War es ein Unfall? Oder gar Mord? Die Polizei ist schnell vor Ort, in voller Besetzung: Kriminalkommissar Gereon Rath, die Kriminalassistentin Charlotte Ritter, die Assistenten Czerwinski und Henning und Polizeifotograf Reinhold Gräf. Die Dreharbeiten werden sofort gestoppt, Spuren gesichert, natürlich nach „Methode Gennat“, und Zeugen verhört. Und dann taucht auch noch der Armenier auf. Er hat nämlich viel Geld in die Produktion investiert und will, dass die Dreharbeiten schnellstens weitergehen. Und dafür braucht man eine neue Hauptdarstellerin. Die ist schnell gefunden und es kann weitergehen. Dann kommt es zu einem zweiten und dritten Mord. Wer steckt dahinter? Und vor allem: wer ist der Mann mit dem Phantomkostüm? Wird er etwa auch Charlotte ins Jenseits befördern?

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“Dämonen der Leidenschaft”, hier das Drehbuch. Top Secret natürlich!

Hochspannung, dramatische Wendungen – und wir sind mittendrin, Zeugen der Handlung. Meistens warten wir aber, während die Polizei den Tatort untersucht. Und an so einem Filmset gibt es ja für uns harte Arbeiter immer was zu tun. Sachen wichtig von A nach B tragen. Den Boden fegen. Irgendwas aufräumen. Ich bin in der Wartezeit meistens damit beschäftigt, meine wunderbare Tonangel zu pflegen, fast unsichtbare Staubkörner zu finden und zu entfernen, die Kabelschnur aufzuwickeln und dann wieder fallen zu lassen, um sie wieder aufzuwickeln, aber dann fällt sie wieder runter… Beschäftigungstherapie. Die Anweisungen sind relativ offen, Spielraum für Kreativität ist da. Wir sind nicht direkt im Bild. Aber auch, wenn wir nur im Hintergrund zu sehen sind, darf es nicht statisch wirken. Das haben uns unsere Betreuer eingebläut, die Crow Assistant Directors. Drei Leute kümmern sich alleine um uns Komparsen, von unserem Casting über Organisation bis zur Inszenierung. Das zeigt die Größe der Serie, ist so eine umfassende Betreuung doch eher selten. So treffe ich auch Jenny und Yvonne wieder, die schon meinen „Fail“ bei dem Vorsprechen erlebt haben. Aber jetzt geht es weiter! Ein Tanzszene, mit Betty Winter, Hauptdarstellerin in „Dämonen der Leidenschaft“. Ach nee, die ist ja gerade gestorben. Aber ihr Ersatz sieht im Kostüm und mit Perücke kaum anders aus. Vera Lohmann. Klingt nicht so glamourös. Ganz anders als der wirkliche Name der Schauspielerin: Caro Cult – neu dabei bei Babylon. Die Diva steht Vera alias Caro auf jeden Fall gut. Denn gestern war sie noch beleidigt durch das Studio gerauscht, als eine Kollegin als Ersatz für Betty gewählt wurde. Wunderbarer Abgang. Das Gegenteil eines polnischen Abgangs. Aber heute ist alles ganz anders – und die Chance für Vera Lohmann.

Caro Cult alias Vera, die neue Betty Winter. Foto ©Frédéric Batier / ARD / SKY

„First Positions!“: Regieassistent Sebastian Fahr-Brix hat das Sagen in der Marlene Dietrich-Halle, er ist gewissermaßen Arm und Stimme von Tom Tykwer. Seit einem Vierteljahrhundert arbeiten die beiden zusammen. Konzentriert, trotzdem entspannt und souverän tritt er auf. In der ganzen Zeit wirkt Sebastian nie genervt, egal wie spät es ist und auch, wenn dann doch mal ein Handy in den Dreh hineinklingelt. „Ton läuft? – Sound is rolling!“ Jedes Mal freue ich mich, wenn sich der Roland Winke, der (echte) Filmtonmeister mit einer sonoren Bassstimme melde. Für welchen Hollywoodstar er wohl die Synchronstimme wäre, in einem anderen Job? Passt gut zu Robert de Niro oder auch Marlon Brando. Und jetzt: Action! Schon die Tanzszenen aus Staffel 1 waren großartig. Die Choreographie von „Zu Asche, zu Staub“ hat auch Babylon-Berlin-Muffel begeistert. Auch diesmal haben die Tänzer schon mehrere Wochen vor unserem Auftreten an der Choreographie gearbeitet. Unser Tonfilm ist tatsächlich auch ein Tanzfilm, ein frühes Musical. Die Tänzer sehen in ihren Kostümen aus wie eine Mischung aus Harlekin, Meerjungfrau und androgynen Feen. Man kann sie nicht unterscheiden. Wie Klone! Kostüm und Maske haben ganze Arbeit geleistet, wie ich später gleich zweimal realisiere.

Die Tänzer sind fantastisch! Hier mit dem Holzturm für die zweite Kamera und Tom Tykwer sowie Regieassistent Sebastian Fahr-Brix

Ein paar Wochen nach dem Dreh treffe ich bei einem 20er-Jahre-Event die Burlesque-Tänzerin Tara D‘Arson. Und plötzlich stellen wir fest: wir kennen uns ja vom Set! Naja, kennen. Wir waren beide zeitgleich da. Mit dem Erkennen war es schwierig. Oder würdet ihr einen der Tänzer auf dem Foto in der Öffentlichkeit wiedererkennen? Die Maske ist zu gut… Coraline ist Gründerin der Gl‘Amouresque, einer Burlesque-Formation, die unter anderem in der Bar Jeder Vernunft auftritt. Und momentan ist sie mit der Show „Glanz auf dem Vulkan“ unterwegs in Deutschland. Im Herbst dann endlich auch in Berlin.

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Zwei Mitglieder der Gl’Amouresque, Tara D’Arson und Lola La Tease mit Le Pustra und mir im Ballhaus Berlin.

Den anderen Mitstreiter lerne ich erst knapp ein Jahr später kennen: John. John kann (fast) alles. Er ist Akrobat, Sportmodell, Designer, Coach  und ab und zu auch Komparse. Schon bei Staffeln eins und zwei war er dabei. Natürlich im Moka Efti, Tanzen ist ja easy. Aber auch in der Trompete, der wunderbaren Eckkneipe, Stammbar von Gereon. Und jetzt wird es spannend. Hat er etwa den Salto an der Wand gemacht, als Stuntdouble? Denn John ist tatsächlich der Guiness-Rekordhalter für „the most wallflips in one minute“. Glaubt ihr nicht? Schaut hier. Aber John versichert mir, daß Volker das selbst gemacht hat. Und schon der erste Take hat gesessen, siehe Volkers Kommentar dazu: Naturtalent!

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John mit zwei Darstellern aus Babylon Berlin…Zwischen John und der Dame mit Hut bin übrigens ich, gerade bei meinem “Chef”, dem Tonmeister. ©John Förster

Hier am Set hat John aber nicht nur getanzt, er war einer der Akrobaten. Denn diesmal wird mehr geboten als im Moka Efti: einige von den Künstlern wirbeln auf riesigen Trampolinen akrobatisch durch die Luft, springen mehrere Meter hoch. Atemberaubend und spektakulär. Mir stockt der Atem, nicht nur beim ersten Mal. Denn die Szene wird unendlich häufig wiederholt. Aber irgendwann genießen wir einfach nur noch, soweit wir das ohne Vernachlässigung unserer Arbeit können. Und wir haben einen neuen Ohrwurm. Aus „Zu Asche, zu Staub“ wird „Wir sind uns lang…verloren gegangen. Wir sind ein Schweif des gestrigen Zaubers…und in der Seele brennt nicht als Schmerz“.

PS: nicht nur für uns ist das ein absolutes Glück. Auch Liv Lisa Fries sagt später:

Die Film-im-Film-Nummer war für uns Schauspieler natürlich absolut faszinierend. Vor allem, weil der Film-im-Film eben so abgefahren aussieht und inszeniert wird. Da stehe ich dann in der Kulisse nicht nur als Kriminalassistentin Charlotte Ritter, sondern auch als staunende Liv. Da erfreute mich dann, was sich so mancher Kollege in singender und tanzender Weise drauf geschafft hatte

Geschrieben von Arne Krasting
Arne ist Historiker, der Gründer von Zeitreisen, Autor von dem Buch „Fassadengeflüster“, sowie Tourguide und Podcaster.

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